Gemeinsam Ziele Erreichen
Harvard-Prinzip meets Büroalltag: Verhandeln, und nicht verhauen

Ob in der Leitungsebene, zwischen Abteilungen oder in Teams: Wir müssen ständig unterschiedliche Positionen in Organisationen verhandeln. Ob es um mehr Vorhaben als vorhandene Ressourcen oder Wachstum vs. finanzielle Sicherheit geht. Es gibt regelmäßig unterschiedliche Positionen auszutarieren. Dabei scheinen Verhandlungen sich oft wie ein Tauziehen anzufühlen, bei dem alle Beteiligten irgendwann genervt das Seil loslassen. Die Folge? Halbherzige Kompromisse, Frust und die nächste Eskalation sind vorprogrammiert. Oder um einen Kunden zu zitieren: „Es fühlt sich an, als würde die ranghöchste Person alle anderen verhauen haben.“
Doch was wäre, wenn wir das Seil durch ein Gespräch ersetzen könnten – ein Gespräch, das auf die Bedürfnisse der Beteiligten eingeht, statt auf starre Positionen? Wie wäre es, wenn Verhandlungen keine schlechten Kompromisse erzeugen würden und keine Gewinner und Verlierer?
Willkommen in der Welt der bedürfnisorientierten Verhandlung – ein Ansatz, der Konflikte in konstruktive Lösungen verwandelt.
Wie in der Regel Verhandlungssituationen angegangen werden
Meist findet man in Organisationen die klassische Verhandlungsmethode wieder. Sie hat ein großes Problem: Sie kratzt oft nur an der Oberfläche. Stellen Sie sich vor:
- Abteilung A: „Wir brauchen dringend mehr Budget!“
- Abteilung B: „Das geht nicht, wir haben strenge Vorgaben!“
Die Fronten sind verhärtet. Beide kämpfen um ihre Position – aber keiner fragt: Warum?
Das Ergebnis? Ein halbgarer Kompromiss, bei dem Abteilung A ein bisschen mehr Geld bekommt und Abteilung B sich die Haare rauft, weil die Zahlen nicht mehr stimmen. Keiner ist wirklich glücklich.
Bedürfnisorientierte Verhandlung: Der Perspektivwechsel, der den Unterschied macht
Anstatt auf Positionen zu beharren, fragt die bedürfnisorientierte Verhandlung nach dem „Warum“ hinter den Forderungen. Warum will Abteilung A mehr Budget? Vielleicht, um ein dringend benötigtes Projekt voranzutreiben. Warum lehnt Abteilung B ab? Vielleicht, weil sie Sicherheit und Planbarkeit in der Budgetierung braucht.
Die Idee ist einfach: Bedürfnisse sind universell, während Positionen nur eine von vielen möglichen Lösungen sind. Der Ansatz wurde durch das Harvard-Prinzip bekannt und wird häufig in Vertragsverhandlungen eingesetzt. Im Organisationsalltag verhandeln wir ständig. Daher sollte es auch hier zum Standard werden.
Die drei goldenen Regeln:
- Trennen Sie die Person vom Problem: Niemand mag einen persönlichen Angriff. Bleiben Sie sachlich.
- Fragen Sie nach Interessen, nicht Positionen: Was steckt hinter dem Wunsch?
- Suchen Sie gemeinsam Lösungen: Ziel ist eine Win-Win-Situation, keine Sieger und Verlierer.
Wie das in der Praxis aussehen kann
Beispiel 1: Die Prioritäten-Schlacht zwischen Abteilungen
Die Situation: Abteilung A möchte ein neues Tool einführen, das Prozesse digitalisiert. Abteilung B winkt ab: „Wir haben keine Kapazitäten!“
Positionsbasierte Eskalation:
Abteilung A eskaliert zum Vorstand und zieht dann die Einführung alleine durch. Abteilung B fühlt sich übergangen und blockiert unbewusst (oder bewusst) die Zusammenarbeit. Ergebnis: Chaos.
Bedürfnisorientierte Verhandlung:
Abteilung A erklärt: Das Tool spart Zeit und reduziert Fehler (Bedürfnis: Effizienz).
Abteilung B erklärt: Wir brauchen mehr Kapazitäten, um zusätzliche Projekte zu stemmen (Bedürfnis: Entlastung).
Lösung:
Einführung des Tools in Etappen, ergänzt durch temporäre Ressourcen für Abteilung B. Ergebnis: Effizienz und Frieden.
Beispiel 2: Operative Prozesse – Der Klassiker der Frustration
Die Situation: Der Facility-Manager will Reparaturen nur einmal wöchentlich bündeln, um Kosten zu sparen. Die Kolleg:innen im Büro fordern eine 24-Stunden-Reparatur bei Problemen.
Positionsbasierte Pattsituation:
Der Facility-Manager bleibt stur, die Kollegen suchen sich Wege vorbei am offiziellen Prozess. Ergebnis: Chaos und Kostenexplosion.
Bedürfnisorientierte Lösung:
Facility-Manager erklärt: Wöchentliche Reparaturen sind kosteneffizient (Bedürfnis: Wirtschaftlichkeit).
Kollegen erklären: Schnelle Lösungen sind entscheidend, um Arbeitsausfälle zu vermeiden (Bedürfnis: Verlässlichkeit).
Lösung:
Kritische Reparaturen werden sofort erledigt, Routinearbeiten bleiben im Wochenplan. Ergebnis: Wirtschaftlichkeit und Betriebssicherheit.
Warum das funktioniert: Die Vorteile auf einen Blick
- Weniger Konflikte, mehr Zusammenarbeit: Wer die Bedürfnisse seines Gegenübers versteht, verhandelt nicht gegeneinander, sondern miteinander.
- Nachhaltigere Ergebnisse: Lösungen, die Bedürfnisse berücksichtigen, funktionieren besser und länger.
- Motiviertere Mitarbeiter: Gehört zu werden, macht glücklich – und produktiv.
Im Ergebnis führen solche Verhandlungssituationen nicht mehr in einen Konflikt und zu Zerwürfnissen, sondern zu einem Zusammenwachsen in der Organisation und zu einer Verbesserung. Langfristig sorgt diese Form zu einer Vertrauenskultur.
Wie Sie das lernen können
- Natürlich fällt es nicht jedem leicht, sofort auf Bedürfnisse zu schwenken. Aber mit ein paar Werkzeugen geht das einfacher:
- Fragen, fragen, fragen: Warum fordert die andere Seite, was sie fordert? Nutzen Sie Techniken wie die 5 Why’s, um Bedürfnisse aufzudecken.
- Moderation: Binden Sie eine vom Thema unbeteiligte moderierende Person ein. Wichtig dabei ist, dass die Person tatsächlich gut moderieren kann und man sich im Vorfeld auf Spielregeln einigt, die eine bedarfsorientierte Verhandlung fördern.
- Üben, üben, üben: Diese Form der Verhandlung erlernt man nicht über Nacht. Es gibt Fortbildungen für die Harvard-Methode, aber auch unternehmensinterne Simulationen von derartigen Situationen helfen, diese Fähigkeiten zu entwickeln.
Darüber hinaus sollte man nach solchen Verhandlungen auch gemeinsam reflektieren, wie diese abgelaufen sind und wie es sich für die verschiedenen Beteiligten angefühlt hat.
Fazit: Von „Gegeneinander“ zu „Miteinander“
Die bedürfnisorientierte Verhandlung ist kein Zaubertrick – sie erfordert Übung, Empathie und die Bereitschaft, Perspektiven zu wechseln. Aber die Ergebnisse sprechen für sich: weniger Konflikte, bessere Lösungen und zufriedene Mitarbeitende.
Und mal ehrlich – wer möchte nicht lieber in einer Organisation arbeiten, in der miteinander statt gegeneinander verhandelt wird?